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Lucien Natanson und seine Eltern, Julien und Jeanne Natanson (in deutscher Sprache)

Ich weiß nicht viel über Lucien Natanson, einen Cousin meines Vaters. Er wurde am5. April 1921

in Bukarest in Rumänien geboren.Sein Vater Julien Natanson (sein standesamtlicher Vorname war Yankel) hatte ein Schreibwarengeschäft in Paris am « passage du Panorama » im 1. Arrondissement. Seine Mutter hieß Jeanne Schwartz. Sie wohnten in der rue Censier 8 in Paris. Julien war der Bruder vonAron Natanson, meinem Großvater, und Albert Natanson. Ich besitze kein einziges Foto. Es war mir lediglich möglich, ihr tragisches Ende mittels diverser Quellen (Hilda Natanson, die Archive der Rathauses von Bourg-d’Oisans, die Aussage von Michel Martin) zu rekonstruieren.

   

Ein Teil der Familie hatte in Grenoble in der von den Italienern besetzten Zone Zuflucht gefunden, die eine sicherere Zone für Juden war, als die von den Deutschen besetzte und sogar als die « freie » Zone, wo Pétain die Juden verhaften und abtransportieren ließ. Aber auch diese Zone wurde imSeptember 1943von den Deutschen nach dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten besetzt.   Grenoble war also nicht mehr sicher und so flüchten Albert Natanson, seine Frau Hilda, Julien Natanson und seine Frau Jeanne nach Bourg-d’Oisans.

montagnes
Das Gebirge über Bourg-d’Oisans (Foto: Elisabeth Mosbah)

Julien und Jeanne wohnen in einem Gehöft in « La Paute », 2,5 km vom Dorf entfernt, Richtung Grenoble. Albert und Hilda sind einige Kilometer entfernt. Lucien Natanson ist bei seinen Eltern, aber sein junges Alter (23 Jahre) führt ihn in die Widerstandsbewegung: er ist Jude und folgte seiner Verpflichtung zum « S.T.O. » nicht, dem « Service de travail obligatoire », d.h. dem obligatorischen Arbeitsdienst. Er versteckt sich also höchstwahrscheinlich zusammen mit anderen jungen Leuten im Wald und in den Bergen. Nahmen sie an den tatsächlichen Aktionen der « Résistance » teil? V.a. werden sie sich versteckt haben, denn die Überlegenheit der Nazis und ihre unzureichende Ausrüstung waren ihnen durchaus bewußt.
   Anfang August 1944 verlassen die wenigen Soldaten, die sich in Bourg-d’Oisans aufhielten, die Stadt. Große Euphorie der Befreiung ! Die jungen Leute aus den Bergen kommen ins Tal und treffen ihre Familie wieder.
   Das Drama beginnt. Eine Soldatenkollone (handelt es sich hier um SS?) rückt von Briançon nach Grenoble vor. Sie werden von den Widerstandskämpfern belästigt und auf ihrem ganzen Weg durch das Tal sähen sie den Tod :

Itinéraire de l'armée nazie en retraite, de Briançon à Grenoble, 10-17 août 1944
Marschroute der deutschen Armee beim Rückzug von Briançon nach Grenoble vom 10. zum 17. August  1944

1. Exekution der sechs Widerstandskämpfer am « Col du Lautaret » (11. August 1944). 
2. Geiselnahme der gesamten männlichen Bevölkerung der Dorfes Villar-d’Arêne (11. August 1944). 
3. Sechs Geiseln und ein deutscher Soldat werden bei der Explosion einer von der « Résistance » gelegten Mine im Tunnel in der Nähe von « La Glave » getötet. Tod des Vaters von Michel Martin. 
4. Exekution von Juden, Widerstandskämpfern und Geiseln in Bourg-d’Oisans (14. Und 15. August 1944). Tod Lucien Natansons. 
5 .Fundort der Leiche von Julien Natanson. 
6..Exekution eines Indochinesen (16. August 1944).

Ich hatte in Soissons, wo ich wohne, die Gelegenheit, Michel Martin, den damaligen Bibliothekar der Stadtbibliothek zu treffen (meine Frau wurde seine Nachfolgerin). Er erzählte mir einen Teil der blutigen Marschroute dieser deutschen Kolonne: am10. oder 11. Augusterschossen die Nazis am « Col du Lautaret » einige Widerstandskämpfer. Am11. Augustnahmen sie die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes Villar-d’Arêne, das ganz in der Nähe des « Col du Lautaret » liegt, als Geiseln. Unter den Geiseln ist auch der Vater von Michel Martin, ein Universitätsprofessor und aus diesem Dorf gebürtig. Die Nazis benutzen also diese Geiseln als menschliche Schutzschilder, um sich bei ihrem Marsch durch das Tal abzusichern. Einige Kilometer von Villar-d’Arêne entfernt ist ein Tunnel von der Résistance vermint: Sechs Geiseln und ein deutscher Soldat werden am11. August 1944bei der Explosion der Mine getötet. Unter ihnen ist der Vater von Michel Martin.    Der Marsch der Deutschen geht, von schrecklichen Vergeltungsschlägen gegen die Zivilbevölkerung, weiter. Die Exekutionen sind nicht völlig willkürlich: die Dokumente zeigen uns, daß es sich häufig um Juden handelt, unter den Ältesten und den Jüngeren gibt es einige in Uniformen, die Verbindungen zum Widerstand negieren.    Am14. August 1944wird Lucien Natanson in La Paute, einer Gemeinde von Bourg-d’Oisans, angehalten. Wurde er als Jude identifiziert? Sind es seine Wanderstiefel, die ihn als Widerständler entlarven ?

    Lucien Natanson wurde am 14. August 1944gegen 21:00 Uhr in La Paute, einer Gemeinde von Bourg-d’Oisans, erschossen.

Er wird schnell beerdigt und später zwecks Identifizierung durch die Behörden exhumiert. Ein Protokoll der Dorfpolizei von Bourg-d’Oisans zeugt davon. Er zeigt uns auch, daß fünf weitere Bewohner aus Bourg-d’Oisans, davon mindestens vier Juden, am nächsten Morgen, dem 15. August 1944, vor dem Abmarsch der deutschen Kolonne in Richtung Grenoble, exekutiert wurden.

PROCES VERBAL    

Procédant d’office, informé que diverses personnes étaient décédées de mort violente en divers points du territoire de la commune de Bourg-d’Oisans, nous nous sommes immédiatement transportés, le 15 août 1944, sur les lieux désignés, notamment à La Paute et aux Zilas, accompagnés de Messieurs FAURE, maire de Bourg-d’Oisans, et SCHLUMBERGER, docteurs en médecine, demeurant à Bourg-d’Oisans, où, étant arrivé à 18 heures, nous avons procédé comme suit :
   

Übersetzung des rot unterlegten Auszugs: « Wir haben in La Paute an dem uns bezeichneten Ort folgenden Leichen exhumieren lassen:
    Erwin Lucien NAUM-NATANSON,geboren am 5. April 1921 in Bukarest (Rumänien), Kaufmann, Sohn von Julien und von Jeanne SCHWARTZ, verheiratet mit Jeanine Hélène PROVOST, wohnhaft in La Paute, getötet in La Paute am 14. August 1944 gegen 21:00 Uhr. »
    Au mas des Zilas, cinq cadavres, dont trois immergés dans la Rive, nous ayant été signalés comme ayant été découverts, il a été procédé à leur examen par les Docteurs susnommés.
De renseignements recueillis, nous avons pu établir, à peu près, leur état-civil comme suit :
    I° Bernard BRANSILBER, né à DARMSTADT (Allemagne) le 12 Avril 1900, chimiste, fils de Hensh et de Regina SCHONBERG, époux de Sarah KANNER, demeurant au Vert, commune de Bourg-d’Oisans, tué aux Zilas, le 15 août 1944, vers 8 heures.
    2° Stefan MARTICHEWSKI, né à CIELTZ (Pologne) le 4 septembre 1892, manoeuvre, époux de Anne Marie SAMSON, demeurant à Bourg-d’Oisans, rue Général Bataille, tué aux Zilas, le 15 août 1944, vers 8 heures.
    3° Marian Stanislas MOSCINSKI, né à LWOW (Pologne) le 8 août 1916, étudiant, fils de Stanislas et de Sofia WOLOSZ, époux de Félicienne Eugénie GENEVOIS, demeurant à Bourg-d’Oisans, Avenue de la Gare, tué aux Zilas, le 15 août 1944, vers 8 heures
    4° Adam Jean Seliwa KOPYTINSKI, né à NAPLES (Italie) le 16 décembre 1904, ingénieur, fils de Thadée et de Hélène KOSTIVAN, demeurant à Bourg-d’Oisans, rue Docteur Daday, tué aux Zilas, le 15 août 1944, vers 8 heures.
    5° Maurice UNGER, né à MORAWSKA-OSTRAVA (Tchéco-Slovaquie) le 29 juin 1911, étalagiste, fils de Hermann UNGER et de Bertha MANGER, demeurant à Bourg-d’Oisans, au Vert, tué aux Zilas le 15 août 1944, vers 8 heures.

    D’autre part, le 16 août 1944, dans la matinée, nous avons fait exhumer, dans le Jardin Public de Bourg-d’Oisans, derrière la Salle des Fêtes, le cadavre d’un inconnu assez jeune, dont ci-joint deux photographies (de face et de profil) et portant les effets suivants : golf militaire kaki, chemise kakie, caleçon militaire, slip, chaussures de l’armée, chaussinettes. deux autres photos ont été remises par la Mairie de Bourg-d’Oisans au Capitaine BRIANCON, du 2ème Bureau, de Grenoble.

    Nous joignons au présent procès verbal les rapports sommaires des Docteurs FAURE et SCHLUMBERGER, procès verbal rédigé et clos le 25 août 1944.
    Et nous avons signé avec le Greffier.

        WOELFFLIN, Juge de Paix        VAUJANY, Greffier.
 

N.B. : L’état-civil de Marian Stanislas MOSCINSKY était faux. Il s’appelait en réalité Stanislas HALKA et était fils de Alexandre Stanislas HALKA et de Sofia WOLOSG. Il était aspirant au 4ème Bataillon de la Brigade Polonaise des Chasseurs du Nord, n° matricule 241.
Sa carte d’identité n°4090 de la Brigade Polonaise des Chasseurs du Nord, Armée Polonaise en France, délivrée à Harstad le 15.5.1940, mentionnait qu’il était né le 26.6.1918, et était étudiant.

Le Monument aux morts de Bourg-d'Oisans (Photos Elisabeth Natanson)
Das Kriegerdenkmal für die Toten in Bourg-d’Oisans (Fotos: Elisabeth Mosbah)
La plaque commémorative placée au pied du monument aux morts de Bourg-d'Oisans :
Gedenktafel am Fuße des Denkmals :

Die Geschichte ist noch nicht beendet.
    Die Eltern von Lucien Natanson, Julien und Jeanne, waren bei der Exekution ihres Sohnes anwesend. Julien Natanson, der Vater, erträgt den Tod seines einzigen Sohnes nicht länger.

    Julien Natanson begeht am15. August 1944Selbstmord, indem er sich in die Romanche stürzt.

    Man findet seine Leiche in der Romanche zwischen Livet und Rioupéroux in der Gemeinde von Livet-et-Gavet, stromabwärts von Bourg-d’Oisans. Der Körper wird in Les Clavaux begraben. Dies ist Grund genug für ein weiteres Protokoll: eine Liste der zahlreichen Opfer dieses Sommers 1944. Zu notieren wäre, daß an den Nachnamen Natanson systematisch der Vorname « Naum » angehängt wird (Grund nicht bekannt; Anm. d. Ü.).

Extraits d’une liste récapitulative des victimes

Übersetzung des rot unterlegten Auszugs: […] 

[…]  110) BOUYOL Roger Jules Alphonse, employé d’usine, né à Tours (Indre-et-Loire) le 6 août 1920, fils de Albert BOUYOL et de Lucienne BEZARD, célibataire, domicilié à Vizille (Isère).
Tué par les Allemands, le 14 août 1944, vers 9 heures, au lieu dit « l’Adret ».

111) « NATANSON-NAUM Julien, Kaufmann, geboren am 30. Oktober 1892 in Ploiesti (Rumänien), Sohn von Joseph NATANSON-NAUM und Anna RAPPAPORT, Ehemann von Jeanne SCHWARTZ, wohnhaft in La Paute, Gemeinde von Bourg-d’Oisans.
Freitod am 15. August 1944 im Anschluß an die Exekution seines Sohnes Erwin durch die Deutschen: ertrunken in der Romanche, gefunden zwischen Livet und Rioupéroux. »

Suicidé le 15 août 1944, à la suite de l’exécution de son fils Erwin par les Allemands : noyé dans la Romanche, trouvé entre Livet et Rioupéroux.
112) Un inconnu dont le signalement est le suivant (N° I de la Liste de Gavet) : Taille I M 70. Chemise kaki manches courtes. Pantalon drap bleu marine sans brayettes fermé sur les côtés. Chaussettes coton gris. Chaussures basses jaunes semelles caoutchouc. Caleçon blanc court. Un mouchoir blanc sans initiales.
Tué par les Allemands le 17 août 1944, vers 16 heures, au lieu dit « Fonfroide ».
113) PARDE Emile Maurice, élève à l’Ecole de Santé Navale, né à Beaumont-de-Pertuis (Vaucluse) le 12 septembre 1920, fils de Maurice PARDE, professeur à la Faculté des Lettres de Grenoble, et de Jeanne ALAMELLE, célibataire, domicilié à Grenoble (Isère), 6 rue Lesdiguières. Nom de guerre : Médecin Sous-Lieutenant « André ».
Tué par les Allemands, le 13 août 1944, vers 12 heures, au « Poursollet ».
114) MERLIN Louis Joseph Auguste, cultivateur, né à Saint-Victor-de-Cassieu (Isère) le 21 mars 1914, fils de Henri MERLIN et de Adèle BONNAZ, célibataire, domicilié à Saint-Victor-de-Cassieu.
Fusillé par les Allemands, le 17 août 1944, vers 16 heures, au lieu dit « Fonfroide ».
115) ROURE Marcel Victor, ouvrier à la Viscose, né à Grenoble (Isère) le 7 mars 1911, fils de Jean-Baptiste ROURE et de Rosine MEUNIER, veuf de Claire Céleste Valentine BOUILLET, époux de Mathilde Hippolyte Denise ELIE, domicilié à Echirolles (Isère).
Fusillé par les Allemands, le 19 août 1944, vers 11 heures, au lieu dit « Fonfroide ».
116) MATHIEU Léonard René Georges, cultivateur, né à Séchilienne (Isère) le 9 octobre 1920, fils de Séverin MATHIEU et de Marie-Louise PLATEL, célibataire, domicilié à Séchilienne (Isère).
Fusillé par les Allemands, le 14 août 1944, vers 8 heures, au lieu dit ‘Pont de Gavet » […]

carte lucien

Die Pfeile bezeichnen die Marschroute der deutschen Armee auf ihrem Rückzug von Briançon über den Col (A) nach Grenoble (B), ihren Weg mit Opfern pflasternd.
1 :  In La Paute hatte die Familie von Julien Natanson Zuflucht gefunden. Lucien versteckte sich wahrscheinlich in den höheren Bergen (4).
2 : Zwischen Livet und Rioupéroux wurde die Leiche von Julien Natanson gefunden und wurde provisorisch in Les Clavaux (3) begraben.
5 : Kriegerdenkmal für die Toten von Bourg-d’Oisans, auf dem der Name Lucien Natanson erscheint.